ECLAT – Stuttgarts Festival für widerstandlose Neue Musik
Letzte Woche beim ECLAT Festival in Stuttgart gab es natürlich nichts Experimentelles, da es ein Festival ist, dessen Themen Institutionalismus und der ästhetische Apparat waren. Es gab allerdings doch etwas Neues, aber die allgegenwärtige Präsenz der Stiftungen hat den Geist der Entdeckung, der bei den Donaueschinger Musiktagen so spürbar war, irgendwie gedämpft. Die Auswahl der Werke, grösstenteils Premieren, die über die vier Tage präsentiert wurden, könnte man stilistisch als einen Rückblick der letzten siebzig Jahre sehen - einschließlich extremem Konservatismus, frischen Ideen des Modernismus’, Spectralismus und Neuem Konzeptualismus.
Ein Gespräch zwischen Helmut Lachenmann und verschiedenen jüngeren Komponisten/innen, wie Brigitta Muntendorf und Hannes Seidl, enthüllte eine philosophische Auseinandersetzung über politischen Inhalt der Musik zwischen dieser Generation und der letzten. Lachenmann, der mit Nono studierte, meinte, dass er und seine Zeitgenossen wie Nicolaus Huber, Musik wie eine geschichtlich beladene Semiologie erführen. Jeder Klang, jede Geste und Besetzung, rufe eine bestimmte Geschichte der politischen Verstrickung hervor, definiert über die Beziehungen von Musik und Politik während der verschiedenen historischen Epochen. Diese Philosophie war offensichtlich in dem Werk Hubers L’inframence – Extended, vom „Ensemble Modern“ aufgeführt. Das Stück für großes Ensemble beinhaltete viele Stillen, isolierte Klänge von nur einem Instrument und eine Anweisung an den Dirigenten, eine Seite des Buches zwischen beiden Händen zu halten und dem Publikum langsam beide Seiten zu zeigen. Werke in dem Festival von jüngeren Komponisten verließen sich nicht so sehr auf isolierte Ereignisse und Klänge, sondern verwendeten komplizierte elektronische Aufbauten und Samples, um eine Entertainmentfähigkeit darzustellen, die jener der zeitgenössischen Popkultur gleich ist. Lachenmann zeigte sein Alter als er sagte, dass es für Komponisten die Aufgabe sei, ihre eigenen Erfahrungen als Zeuge ihrer Geschichtsperiode zu berichten, nicht einen Kommentar darüber zu schreiben.
Die gelungensten Stücke des Wochenendes waren konzeptuell. Das Musiktheaterstück Buenos Aires von Simon Steen-Anderson war eine Borgesische science-fiction Komödie, dessen wechselndes Setting zum Beispiel eine Werbesong-Aufnahmesession und eine parallele Realität, wo man grobe elektronische Geräte zum sprechen nutzen musste, einschloss. Am Ende lernt man, dass das Stück eigentlich in einer Probe für eine Inszenierung beim ECLAT Festival spielt. Johannes Kreidlers Premiere -Bolero war eine genaue Reproduktion von Ravels Bolero, aber ohne melodische Elemente. Ein Großteil des Lebenswerk Kreidlers, zum Beispiel Fremdarbeit oder die Musikstücke für Video, obwohl konzeptuell, umfassen beachtliche Handwerkskunst und persönliche, stilistische Entscheidungen. In einer Art die an Duchamp erinnert, fordert -Bolero unsere Annahmen der Arbeit und Singularität im Schöpfungsakt heraus.
Auch interessant war Mirror Box (Flesh + Prosthesis #3) von Stefan Prins, an Trio Accanto gewidmet. Hier wirkt die Spiegelbox Therapie, eine Heilbehandlung für Phantomschmerzen nach Amputationen, als Metapher für das Zusammenspiel der akustischen und elektronischen Mittel in der Musik. Das Stück hatte ein kluges und provokatives Konzept sowie ein ausdehnendes, virtuoses elektronisches Schreiben, hielt aber leider das Interesse der Interpreten nicht wach. Brigitta Muntendorfs Stück für zwei Klaviere, The Key of Presence, verwendete Kontaktmikrophone auf den Brüste beider Interpreten sowie eine Vielfalt der Jitter und Verzögerungen, die an Horrorfilme erinnerten. Wieder ersetzte die Entwicklung des elektronischen Materials die Entwicklung der pianistischen Klänge und Techniken. Damit stellte sich eine Priorisierung ein, die die anscheinende Unvereinbarkeit der Virtuosität und des Konzeptualismus widerspiegelte.